Der Pirat, der in alle sieben Weltmeere pinkeln wollte – Teil 2

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DIE KARIBIK

Alischa hasste es, wenn seine Mutter ohne ihn zum Einkaufen ging. Ja, sie hatte versprochen, dass sie ihm etwas mitbrachte, aber das war einfach nicht dasselbe. Die ganze Crew durfte mit, sogar Beinahe-Jonny, der nur noch jeweils ein Bein, Auge und Ohr hatte! Alle anderen hatten jetzt sicherlich fürchterlich großen Spaß mit Rauben und Brandschatzen, während er hier allein an Bord sitzen musste und sich langweilte. Alischa war nicht ganz sicher, was ‚Brandschatzen‘ überhaupt war, aber so schwer konnte es auch wieder nicht sein, wenn es sogar die Erwachsenen auf die Reihe brachten. 

Die ganze Sache war so brennend unfair, dass er es bis in die Tiefe seiner siebenjährigen Seele hinein lodern spürte. Vielleicht war das allerdings auch nur der ferne Feuerschein von Port-au-Prince, der über das Wasser zu ihm herüberdrang. In der Ferne waren auch immer wieder Schüsse und Schreie zu hören, und Alischa vermeinte einmal sogar, dass er das enthusiastische Kampfjodeln von Sepp ausmachen konnte. (Sepp war ein Tiroler Austauschpirat, der das mit dem Schlachtgebrüll nie ganz begriffen zu haben schien. Sein Jodeln versetzte die Feinde mehr in Verwirrung denn in Angst und Schrecken, aber niemand in der Crew hatte es bisher über’s Herz gebracht, ihm das zu sagen.)

„Jupp“, dachte Alischa bitter und trat nach einem herumliegenden Tau: „die haben alle grad einen Heidenspaß.“

Eigentlich hatte er vorgehabt, sich im Krähennest zu verkriechen und den ganzen Tag nicht mehr herunterzukommen, sogar, wenn alle wieder an Bord waren und sich Sorgen um ihn machten. Er würde sie allesamt mit Missachtung strafen, mit königlicher, katzenhafter, zutiefst missächtlicher Missachtung, die sie lehren würde, ihn von der ganzen Brandschatzierung auszuschließen!  
Als sich aber schließlich das Beiboot näherte, da konnte er seine Neugierde doch nicht ganz unterdrücken. Immerhin war es ja möglich, dass sie ihm etwas wirklich Interessantes mitgebracht hatten – den Säbel des Gouverneurs vielleicht, oder einen ausgestopften Alligator. Man konnte ja nie wissen. Also streckte er den Kopf ein wenig über den Rand des Krähennestes und spähte hinunter zur heimkehrenden Crew. Als erstes kam natürlich seine Mama an Bord, das Haar eine wilde Mähne, die Kleidung blutgetränkt. Das beunruhigte Alischa aber keine Sekunde – erfahrungsgemäß gehörte das Blut anderen Leuten. Nach ihr kamen Sepp, José, dann der erste Maat und dann… 

Alischa runzelte die Stirn. Dann kam ein kleines Mädchen, kaum älter als er, mit blasser Haut und rotem Haar, so leuchtend rot wie der Schweif einer sibirischen Seehexe.Das Mädchen war die Tochter des Gouverneurs von Port-au-Prince, fand Alischa heraus, und sie würde an Port bleiben, bis ihr Vater das Lösegeld gezahlt hatte.

Seine Mama hatte außerdem ihr Versprechen gehalten und ihm eine wunderschöne Muskete geschenkt, die sie extra für ihn erbeutet hatte. Er durfte sie zwar noch nicht laden – da war sie streng – aber er war auch so hingerissen davon und beschloss auf der Stelle, ihr den alischa-losen Landgang noch einmal zu verzeihen. Den Rest des Tages spielte er an Deck mit seinem neuen Wunderding und jeder in der Crew tat so, als würden sie sich zu Tode fürchten, wenn er sie damit bedrohte. Der Schiffskoch gab ihm mit vorgehaltener Waffe sogar einen Extrakeks vor dem Abendessen, was Alischa unendlich Stolz machte: sein erster erfolgreicher Raubzug!

Aber irgendwie war er dennoch nicht ganz bei der Sache, ertappte sich dabei, wie seine Gedanken immer wieder zu dem Mädchen mit den roten Haaren wanderten, die jetzt unter Deck in einem Käfig saß. Es war nicht das erste Mal, dass sie eine Geisel an Bord hatten – Alischa erinnerte sich zum Beispiel gerne an den nubischen Prinzen, der zwei Wochen mit ihnen verbracht und ihm großartige Geschichten von der Löwenjagd erzählt hatte. Aber es war das erste Mal, dass die Geisel in seinem Alter war UND Sommersprossen hatte. Ob sie sich wohl fürchtete? Ob sie zu ihrer Mama zurückwollte und zu ihrer Crew? (In seiner Vorstellung hatten alle Leute eine Mama und eine Crew. Alles andere war undenkbar.)

Er selber wäre unter ähnlichen Umständen natürlich komplett unerschrocken und tapfer, aber was wusste man schon von diesen Landmenschen? Schließlich war es doch ziemlich dunkel unter Deck. Und feucht war es auch, und die Ratten waren manchmal ziemlich unhöflich. Sicher weinte sie schon die ganze Zeit und schrie nach ihrer Mama und sehnte sich danach, dass endlich irgendjemand kam (vielleicht ein wackerer siebenjähriger Pirat mit einer nigel-nagel-neuen Muskete, um ein willkürliches Beispiel zu nennen) und ihr ein bisschen Mut zusprach. 

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12 Antworten zu Der Pirat, der in alle sieben Weltmeere pinkeln wollte – Teil 2

  1. Mountfright schreibt:

    Hat dies auf schreckenbergschreibt rebloggt und kommentierte:
    Und hier der zweite Teil von Sarahs Geschichte zum (Vor)Lesen für Kinder. (Erprobt ab 1. Klasse Grundschule). Alischa hat gestern schon in sein erstes Weltmeer gepinkelt, heute geht es weiter…

  2. Pingback: Der Pirat, der in alle sieben Weltmeere pinkeln wollte – Teil 3 | Der Guppy war's und nicht die Lerche

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