Hey Leute,
das ist heute die 75. Quarantänegeschichte. Die Welt ist nicht mehr ganz diesselbe wie noch vor zweieinhalb Monaten, als ich die erste Geschichte hier gepostet und dann zehn Minuten später eine Whatsapp von einer Freundin bekommen habe: „Bist du noch in Deutschland?! Die machen die Grenzen zu!“
Zweieinhalb Monate seit einer überhasteten Abreise von meinem besten Freund, seit einem Abschied an einem menschenleeren Kölner Bahnhof. Nur ein paar Soldaten waren da. Zweieinhalb Monate vor einer beklemmenden Nachtfahrt in einem Zug mit klappriger ungarischer Garnitur und voller besorgter Gesichter. Ich bin jede Stunde aufs Klo gegangen, Händewaschen, und nachdem es dort keine Seife mehr gab, nur sehr scharfes Desinfektionsmittel, waren meine Knöchel am Ende der Nacht blutig.
Zweieinhalb Monate, seit ich mit meinem Vater am Telefon heftig gestritten hab, weil meine Familie wollte, dass ich in Oberösterreich aussteige und heimkomme, um den Sturm in mein Elternhaus auszusitzen – und ich das verweigert hab, weil ich zu viel Angst hatte, ihnen etwas Heimtückisches von der Reise mitzubringen. Zweieinhalb Monate, seit der Zug um fünf Uhr morgens in Linz gehalten hat, und ich sitzen geblieben bin und versucht hab, leise zu flennen, damit ich die Leute im Abteil nicht wecke. Von meiner einen Familie musste ich gerade weg, zur anderen konnte ich nicht hin und wir wussten alle nicht, was kommt.
Zweieinhalb Monate, seit ich im Morgengrauen mit dem Taxi durch ein fremdartig stilles Wien gefahren bin, seit der Taxler wissen wollte: „Was halten sie von diesem komischen Virus?“ Heut kann ich’s euch sagen: Nicht viel halt ich davon. Sowas von kein Fan.
Zweieinhalb Monate seitdem, und die Welt ist eine andere, das Virus wird uns noch eine ganze Weile begleiten.* Aber es sieht so aus, als hätten wir – zumindest in unserem kleinen Teil der Welt, und in diesem Moment – das Schlimmste vorläufig überstanden. Der Lockdown hat in Österreich schon vor einiger Zeit geendet, in Deutschland tut er es Anfang der kommenden Woche. So lang gibt es hier noch Quarantänegeschichten – Michael ist ab morgen beim Epilog des Rufes, bei mir gibt es heute und morgen noch ’normale‘ Museumseinträge. Für den Sonntag, den letzten Tag, dann ein kleines Crossover. Das ich allerdings noch Schreiben muss und damit sollt ich langsam anfangen. Also:
Fühlt euch umarmt,
S.
*vermutlich bis zum Impfstoff und über Impfskeptiker hab ich in dem Kontext ganz, ganz viele Meinungen
Ausstellungsstück 43221:
Ein seidener Damenschuh
Traditionellerweise ist ein Incubus ein Dämon in männlicher Gestalt, der junge Frauen im Auftrag Satans zu unsäglichen sexuellen Exzessen verführt. Eine merkenswerte historische Ausnahme stellte da der Dämon Udramelech dar, der stets öffentlich zu seiner asexuellen Neigung stand. Stattdessen verführte er junge Frauen zu Fußmassagen, gemeinsamen Spaziergängen und tiefsinnigen Gesprächen bei einer Tasse Tee, während der sie in ihrer persönlichen Entwicklung bestärkte und als Individuen wahrnahm.
Der Erzbischof von Bern versuchte im Jahre 1674, Udramelechs unheiligem Treiben ein Ende zu setzen und beauftragte einen Exorzisten. Dieser fand sich allerdings bald von Angesicht zu Angesicht mit einer Meute hochgradig empörter Jungfern wieder, die nach einem kurzen Schreiduell zur Attacke übergingen. Auch das vorliegende Ausstellungsstück kam dabei als Wurfgeschoss zum Einsatz.
Der Exorzist wurde erfolgreich in die Flucht geschlagen und Udramelech verbrachte den Rest des Abends damit, den von der Schlacht erschöpften jungen Damen die Schultern zu massieren.
Das war einer der unschönsten und ungeplantesten Abschiede die wir je hatten. Aber Deine eine Familie wartet auf Dich, wie unsere Tour durchs Bergische und der Abend im Russischen Restaurant. Und ich besuche Dich wahrscheinlich schon vorher. 🙂 Pandemie oder nicht – Leverkusen waits for you.
Hat dies auf schreckenbergschreibt rebloggt und kommentierte:
Sarahs Rückblick auf 75 Geschichten – und ein Katalogeintrag mit dem sie uns erzählt, wie Dämonen AUCH sein können.