Von Privilegien

Hab grade einen kleinen Artikel drüber gelesen, wie die Einsparungen der Regierung es Leuten erschweren, die auf’s AMS angewiesen sind. Der Tenor unserer geliebten Türkisen war ja immer schon: sollen die halt was hakeln für ihr Geld. Hätten Sie halt studiert, hätten sie jetzt bessere Jobchancen. Hätten sie bessere Arbeitsmoral, hätten sie jetzt einen Job. Hätten sie halt…

Und ich könnt kotzen von dieser Privilegiendenke. Von dieser Annahme, dass jeder, der armutsbedroht ist, halt härter hätte arbeiten sollen – und das sich die Gutverdiener des Landes das eben auch hart erarbeitet haben, ganz alleine, ohne Hilfe, und es halt jetzt überhaupt nicht einzusehen ist, warum sie im Sinne des Sozialstaates andere stützen sollen.

Ich verdiene gut. Für eine freiberufliche Künstlerin sogar (abhängig von Jahr und Auftragslage, natürlich) ziemlich gut. Und ich hab an jedem Drehbuch hart gearbeitet. Ich hab dafür jahrelang studiert. Bin davor mit 18 auf der Filmak aufgenommen worden, was eher die Ausnahme ist. Ich hab mir meinen Erfolg voll selbst erarbeitet, ohne ein einziges Privileg, eine einzige Hilfestellung. Also natürlich mit der kleinen Ausnahme, dass ich…

… gesund geboren wurde, ohne irgendwelche körperlichen oder geistigen Behinderungen; meine Geburt war ein Not-Kaiserschnitt, also verdanke ich es zudem den Ärzten unseres Gesundheitswesens, dass ich sie überhaupt überlebt und außerdem keine späteren Folgen davongetragen habe, wie z.B. durch Sauerstoffmangel verursachte Spastiken, die mir das Drehbuchschreiben schwer machen würden

… ich in einem liebevollen und gewaltfreien Elternhaus aufgewachsen bin, ich mich als Kind also auf meine Phantasiewelten konzentrieren konnte und nicht darauf, mich vor Papa unterm Bett zu verstecken, wenn er besoffen nach Hause kommt. Erfahrungen mit Gewalt in der Jugend verändern das Gehirn dauerhaft, können z.B. die Stressresistenz reduzieren und es einem im späteren Leben und (weils hier darum geht) Berufsleben ziemlich erschweren.

… meine Eltern Ärzte sind, die sich für alle drei Kinder eine hervorragende private Schulbildung leisten konnten, inklusive sonstiger Förderangebote wie Sommerakademien zu literarischen Themen

…ich eine weiße Frau der Mittelschicht ohne Migrationshintergrund bin, also noch nie im Leben jemand meine Fähigkeiten wegen meinem Kopftuch oder Nachnamen hinterfragt hat; es mir noch nie wegen meiner Aussehen schwer gemacht wurde, eine Wohnung zu finden; ich ohne die geringsten Probleme in einem sicheren, wohlhabenden Land leben kann, weil ich eh ‚hergehöre‘, was auch immer das heißen soll

…. meine Eltern es sich leisten konnten, mich im Studium jahrelang durchzufüttern und meine Miete zu zahlen. Ich konnte mich also ganz darauf konzentrieren, an meiner Karriere zu arbeiten und viele, viele, groteske Mengen an Stunden mit meinem Co-Autoren in einem Kämmcherchen zu hocken und immer wildere Serienideen zu entwerfen – anstatt bei McDonalds an der Kasse zu stehen. Ich konnte einfach so lange vor mich hinwerkeln, bis irgendetwas aufgegangen ist, völlig unbeschwert vom Zwang, mich bis dahin irgendwie um meinen Lebenserhalt kümmern zu müssen

… ich habe niemanden, um den ich mich kümmern muss. Keine Kinder, keine von mir abhängigen kleinen Geschwister, niemanden. Ich kann den ganzen Tag vor mich hinbröddeln und Worte tipseln und muss maximal mal aufstehen, um die Guppys zu füttern. Meinen Wordcount zu erreichen wäre zum Beispiel als alleinerziehende Mutter absolut unmöglich.

Und das sind jetzt nur die Privilegien, die mir so ad hoc einfallen. Ich wette, da sind noch etliche mehr, die ich nicht mal am Schirm habe. Und keines davon ist eines, auf das ich irgendeinen Einfluss gehabt hätte. Die waren einfach da.
Um es ganz klar zu sagen: Ich hab nicht härter gearbeitet, war nicht klüger, war nicht moralisch ‚besser‘ als eine Frau mit ähnlicher Veranlagung zum Geschichtenerzählen, die jetzt aber vielleicht grad beim AMS sitzt. Die keinen einzigen dieser Vorteile hatte, die um alles so viel mehr kämpfen musste als ich. Die ihr Durchbruchs-Drehbuch nie schreiben konnte, weil sie in der Zeit stattdessen ihren kleinen Bruder durch die Schule gebracht hat, mit einem Nebenjob im Supermarkt, während sie versucht hat, irgendwie noch das Abitur nachzuholen. Deren Hände nicht mehr so schnell tippen wie meine, weil da Narben sind, die ich nicht habe. Und die jetzt im Moment eben Hilfe braucht, weil sie nicht mein Glück hatte.

Und diese türkisen Weichbirnen erklären uns, dass sie die Hilfe nicht verdient. Dass sie, im Gegensatz zu mir, der das Leben immer mit Vehemenz den Weg geebnet hat, kein Recht hat auf diese Hilfe. Auf noch eine Chance. Weil, Leistung muss sich wieder lohnen.

Am Arsch.

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6 Antworten zu Von Privilegien

  1. Mountfright schreibt:

    Bravo! ❤
    Und ganz nebenbei… Eure Regierung gräbt da Slogans aus, die ich aus den 1980ern in Deutschland kenne, und die damals schon falsch waren. Lernen die nie? NIE?

  2. inter123netzzoaw schreibt:

    Du siehst das falsch , Leistung ist nicht alles: HC Strache- abgebrochenes Geschichtestudium, Sebastian Kurz- abgebrochenes Jus Studium, Herbert Kickl abgebrochenes Philosophie und Politikwissenschafts Studium, alle nichts geleistet und trotzdem in und durch ihre Partei erfolgreich. Dort ist nämlich unter den Blinden ist der Einäugige König.

  3. Sarah Wassermair schreibt:

    Naja, grundsätzlich absolut nichts gegen Studienabbrecher – es ist absolut nichts ehrenrühriges dran, mittendrin draufzukommen, dass ein verstaubtes universitäres System nicht der Weg zur Erfüllung ist und/oder man eigentlich in eine andere Richtung gehen möchte
    Schwierig wird’s erst, wenn die andere Richtung ‚Angriff auf Demokratie, Pressefreiheit und Sozialwesen Österreichs“ ist. DA wirds dann kritisch.

  4. Uli Geidl schreibt:

    Tolles Statement! Du bist wirklich ein wunderbarer Mensch, Sarah!!!!

  5. Gabi Menschick schreibt:

    Liebe Sarah! habe gestern von deiner Mama deinen „Privilegien“Text bekommen, und ich finde ihn einfach supertoll, die Druckversion ist schon in meiner „Erinnerungsmappe“!
    Und ja, der Sommer heuer war heiß, aber mich „fröstelt“ es jetzt oft in unserem doch eigentlich wunderschönen Land!Gabi

  6. Albert schreibt:

    Danke für diesen tollen Blog. War interessant zu lesen.

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